Bachelorprojekt: David Lichtsteiner

Bachelor of Arts in Musik, Hauptfach Komposition
Klasse Erik Oña
Hochschule für Musik Basel

Montag, 16. Mai 2016, 19:00 Uhr
Theater der Künste, Bühne B
Gessnerallee 13, Zürich

Mitwirkende:

Schauspiel: Antonia Eleonore Hölzel, Lion-Russell Baumann, Lucas Riedle, Julian-Nico Tzschentke
Musik: Orsolya Sepsi (Geige), Caterina Comas (Bratsche), Matthieu Gutbub (Cello)
Regie, Textbuch: Joel Kammermann
Komposition: David Lichtsteiner
Produktionsleitung: Anna-Lena Affentranger
Mitentwicklung Textbuch: Chloé-Laure Reichenbach
Raumkonzept: Stephanie Müller
Lichtkonzept: Karl Egli
Grafik: Christian Löffel

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In einem Punkt sind sich viele zeitgenössische Liebestheoretiker einig: Die romantische Liebe ist bedroht. Steigende Scheidungsraten mögen diesen Eindruck ebenso unterstreichen wie etwa die Popularität von mobilen Dating-Apps oder der inflationäre Gebrauch des Begriffs Beziehungsunfähigkeit. Das menschliche Grundbedürfnis, zu lieben und geliebt zu werden, bleibe immer häufiger unbefriedigt. Die Ursachen für diese Entwicklung werden unterschiedlich verortet. Oft ist von überhöhten Ansprüchen und überfordernden Wahlmöglichkeiten die Rede. Mangelhafte Kompro- missfähigkeit und egozentrische Lebensplanung sprechen für einen regel- rechten Freiheitszwang. In einer Welt unbegrenzter Möglichkeiten sei für die Liebe kein Platz vorhanden. Diese Erklärungen diagnostizieren als Kern des Problems eine Überbewertung der eigenen Individualität. Byung-Chul Han, in Berlin tätiger Philosoph und Kultur- wissenschaftler, vertritt eine radikale Gegenthese. Er führ t den Zerfall der Liebeslust gerade nicht auf ein Übermass an Individualität zurück, sondern auf Unterschiedslosigkeit, die fortschreitende Aufhebung des Anderen: «In der Hölle des Gleichen, der die heutige Gesellschaft immer mehr ähnelt, gibt es […] keine erotische Erfahrung. Sie setzt die Transzendenz, die radikale Singularität des Anderen voraus. Der Terror der Immanenz, der alles zum Gegenstand der Konsumtion macht, zerstört das erotische Begehren. Der Andere, den ich begehre und der mich fasziniert, ist ortlos. Er entzieht sich der Sprache des Gleichen. Es ist ein Kennzeichen der immer narzisstischer werdenden Gesellschaft, dass der Andere verschwindet.» Als verbindende Achse zwischen diesen beiden Extremen können die Ausführungen des Psychoanalytikers Fritz Riemann verstanden werden. Er führt vier Grundformen der Angst ins Feld, die einer erfüllten Beziehung im Wege stehen können. Nebst der Angst vor Veränderung und der Angst vor festgelegten Gesetzmässigkeiten sind dies die Angst vor Nähe und die Angst vor Distanz. Die Angst vor Nähe äussert sich folgendermassen: «Das Vermeiden jeder vertrauten  Nähe aus Angst vor dem Du, vor sich öffnender Hingabe, lässt den schizoiden Menschen mehr und mehr einsam werden. Seine Angst vor der Nähe wird besonders da konstelliert, wo jemand ihm oder wo er jemandem zu nahe kommt. Da Gefühle der Zuneigung, der Sympathie, der Zärtlichkeit und Liebe uns einander am nächsten kommen lassen, erlebt er sie als besonders gefährlich.» Ihr gegen-über steht die Angst vor der trennenden Kluft zwischen Ich und Du: «Je mehr wir wir selbst werden, umso einsamer werden wir, weil wir dann immer mehr die lsoliertheit des Individuums erfahren.» So unterschiedlich die Auffassungen der Liebestheoretiker bezüglich idealem Mass an Verbundenheit und abgrenzendem Zwischenraum sein mögen, so übereinstimmend sind sie in ihrem Fazit, dass die richtige Balance eine zwingende Voraussetzung für jede glückliche Beziehung darstellt. Nahe zu nah ist eine Studie über Nähe und Distanz, über Gleichheit und Differenz, immer mit Blick auf das Geheimnis zwischenmenschlicher Anziehung.